Revolution! UNITED ARTISTS Ad, Motion Picture News, May 24, 1919

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APPETIZER 6/6


United Artists – Sie gründen die United Artists.

Sie machen sich unabhängig, die grossen Vier –

Douglas Fairbanks, D. W. Griffith, Mary

Pickford, Charles Chaplin. Sie widersetzen sich

Kapital und Marktbeherrschung.



               Fritz Hirzel, Chaplins Schatten.

               Bericht einer Spurensicherung. Zürich 1982


Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Situation im

Januar 1919, das Umfeld jener Gerüchtebörse rund ums Hotel Alexandria in Los Angeles, wo das Treffen des First

National Exhibitors Circuit stattfand.

      Mit all dem small talk, dem Klatsch und den Spekulationen,

die unter den Wartenden und Zaungästen in der Eingangshalle kursierten, während im Zwischengeschoss, Sitzungszimmer A,

die bestimmenden, mit Cigarren bewehrten Herren des

siebenköpfigen Exekutivausschusses tagten.

      Hier hatte Chaplin trotz eindeutiger Vertragsbestimmungen

vorgesprochen, um das Budget seiner länger

gewordenen Komödien weiter aufzustocken, aber da war

er auf taube Ohren gestossen.

      Hatte nicht Richard A. Rowland, der Präsident der Metro

Pictures, noch kurz vor dem Treffen erklärt, der Film

müsse aufhören, ein game zu sein, er müsse ein business

werden?

      Doch ob Spiel, ob Geschäft, in Branchenkreisen gab es

keinen Zweifel, um was es den Finanzleuten ging: abgeschafft

werden sollte ein Star System, das die Gesellschaften

zwang, gegeneinander mit immer unglaublicheren Gagen

um die grossen Namen zu konkurrieren.


Film als Ware

Ohnehin befand sich der Film als Ware, als Geschäft

iim Umbruch. Seit der Markt Spielfilme verlangte, nicht mehr

bloss Zweiakter, verschlangen literarische Vorlagen,

Scenarios, Kulissenbauten und Kostüme mehr und mehr

Geld, aber auch das blieb vermutlich nur ein

vorgeschobenes Argument.

      Tatsächlich war in der Industrie ein Machtkampf im Gange,

bei dem es nicht nur um die Aufteilung des Marktes

ging, sondern um dessen Kontrolle, ein Machtkampf, bei dem

sich zwei Widersacher gegenüberstanden.

      Auf der einen Seite gab es, hochgezogen von Adolph

Zukor, diesem aus der Welt des Nickelodeons aufgestiegenen

Kaufmann, einem ungarischen Emigranten, die Famous

Players-Lasky Co., der Welt grösster Produzent, wenn wir dies

marktschreierisch einmal so stehen lassen wollen,

ein Unternehmen, das mit der Paramount liiert war, was

den Verleih anging.

      Auf der anderen Seite, im Gegenzug gebildet, stand

die First National, dieser machtvolle Zusammenschluss der

Kinobesitzer in den Vereinigten Staaten.

      Diese Organisation, deren Teilhaber, 26 an der Zahl,

an die 200 Erstaufführungskinos in den Schlüsselstädten

kontrollierten, war initiiert worden, nachdem Adolph

Zukor um sich herum ein Potential an Filmstars gebunden,

wenn nicht aufgekauft hatte, das seiner Machtposition

auf dem Kinomarkt eine kaum noch verhüllte, monopolistische

Strategie eröffnete.


Zugpferde

Es war ein Staraufgebot, das sich präsentieren lassen

konnte: Mary Pickford ehemals, Douglas Fairbanks, Gloria

Swanson, William S. Hart, die Nazimova oder Fatty

Arbuckle. Dazu kamen Regisseure, die nicht weniger Aufsehenerregendes erwarten liessen: Cecil B. DeMille etwa,

D. W. Griffith oder Mack Sennett beispielsweise.

      Nicht selten waren sie allerdings bloss die Zugpferde,

denn der grössere Teil des Filmausstosses bestand aus Ware,

die absolut zweitklassig blieb, was bei über 100 Filmen

im Jahr kaum anders sein konnte.

      Gewiss, das Blockbuchen, den Zwang also, Filme, auch

mittelmässige, abzuschliessen, um ein paar herausragende

zu bekommen, hatte es bereits früher gegeben, neu war

allerdings, dass Zukors Angebot sich als umfasssend genug

erwies, um ein Kino bei wöchentlich zweimaligem

Programmwechsel gleich fürs ganze Jahr zu okkupieren.

      Und dies genau war die Formel, die das Diktat des

Blockbuchens für die Kinobesitzer so bedrohlich hatte werden

lassen, dass sie die First National gebildet hatten,

plakativ mit zwei Ein-Millionen-Verträgen für die Gallionsfiguren,

für Chaplin und für eine Mary Pickford, die sie der

Paramount abgeworben hatten.


Kapital und Marktbeherrschung

First National wollte kein Geld in eigene Studios investieren,

Ziel der Gesellschaft war vielmehr, aussergewöhnliche Filme von

unabhängigen Produzenten zu bekommen.

      Halten wir uns an die Worte, mit denen es ein Sprecher

der First National sagte, als der Vertrag mit Chaplin

unterzeichnet wurde: Chaplin sei ein unabhängiger Hersteller,

der seine eigene Produktionsfirma besitze und selbst

das Studio leite, in dem er arbeite.

      Er könne sich die Zeit lassen, die er für notwendig halte,

um seine Filme fertig zu stellen, er sei frei in der Wahl seiner

Stories; er werde weder durch Telegramme noch durch

Long-Distance-Telefonanrufe belästigt, die ihn unter Zeitdruck

setzten, damit ein Film zu einem bestimmten Zeitpunkt

herauskommen könne; es gebe, kurzum, keinerlei Möglichkeit,

auf ihn als Produzenten Einfluss zu nehmen.

      Chaplin einmal, so von aussen gesehen, wie beiläufig der

Hierarchie der Geschäftswelt zugeordnet: das mag nicht ohne

Reiz sein, nachdem wir vom Privaten vollends zum

Beruflichen gekommen sind, was nicht ohne Logik ist, obwohl

es sich hier wie ein Nachtrag ausnimmt, ein Nachtrag

in Sachen Kapital und Machtbeherrschung.


Monopolisiert

Für den Trust um Zukor mit Famous Players-Lasky

und Paramount war die First National, wie propagiert, zum

gewichtigen Opponenten geworden: an die 200

Erstaufführungshäuser, wie gesagt, dazu 60 weitere Kinos

und über 350 Kinotheater, mit denen Zusatzabkommen

bestanden, ergaben ein Distributionsnetz, das in Amerika

einzigartig dastand, gerade auch als Konkurrenz.

      Und dennoch war unversehens, im Januar 1919,

rund um jenes Treffen im Hotel Alexandria, der Verdacht

aufgekommen, Zukor und die First National wollten

sich miteinander verbinden.

      Entsprach eine Verflechtung seiner Studiomacht

mit diesem Kinonetz nicht mindestens den Zielsetzungen, die

Adolph Zukor verfolgte? In einer soweit monopolisierten

Filmindustrie, da hätte es keinen Zweifel gegeben, wäre das

Star System tatsächlich bedeutungslos geworden.

      Zwar hatte Thomas L. Tally, der Sprecher des

Exekutivausschusses der First National, solche Spekulationen

allesamt zurückgewiesen und erklärt, seine Gesellschaft

werde keine Verbindung eingehen, sie wolle weder

mit Famous Players-Lasky noch mit Goldwyn, Metro oder

irgendeiner anderen Gesellschaft fusionieren.

      Chaplin war da, mit Verlaub gesagt, anderer Ansicht.

Etwas, so fand er, stimmte hier nicht. Er hatte

seine Sache, als er vor die Kommission gegangen war,

redlich vertreten.


Schulterzucken

Um das Niveau seiner Komödien zu halten, brauchte

er eine Erhöhung des Produktionsbudgets: klang das nicht

plausibel? Doch die Herrschaften, seine Kapitalgeber,

hatten von Qualität nichts wissen wollen, sie hatten nur auf

den Vertrag gepocht.

      Ihre Reaktion kam einem Schulterzucken gleich,

hinter dem sich ungesagt allerhand verbergen konnte. Chaplin

verstand ihre Haltung nicht, nicht diese Gleichgültigkeit:

schliesslich verdienten sie Millionen mit ihm. Sydney Chaplin,

der Halbbruder und Business Manager, wurde eingeschaltet.

      Auch er reagierte misstrauisch, anderntags beriet

er die Lage mit Mary Pickford und Douglas Fairbanks: Die

beiden, stellte sich heraus, waren ebenfalls stutzig

geworden, denn die Verträge, die sie mit First National

respektive Famous Players-Lasky hatten, liefen aus,

ohne dass sie wie gewöhnlich von den grossen Gesellschaften

neue Offerten bekommen hatten.

      Der Verdacht richtete sich erneut auf die hinter verschlossenen

Türen im Alexandria Hotel geführten Verhandlungen,

die allen Dementis zum Trotz, wie es schien, auf den grossen Zusammenschluss abzielten.


Trust

Eine attraktive junge Frau, die sie als Detektivin engagierten,

bestätigte ihre Vermutung: sie hatte sich, wenn wir

Chaplin glauben wollen, an einen der Bevollmächtigten einer

Gesellschaft herangemacht und herausbekommen,

dass offenbar doch branchenumfassende Pläne bestanden,

die einen Zusammenschluss der producing companies

mit der Organisation der Kinobesitzer vorsahen; von einem 40

Millionen schweren Trust war angeblich die Rede, von

Verträgen mit fünf Jahren Laufzeit, welche die Kinobesitzer

verpflichten sollten.

      Die Indiskretion hatte, ins pikante Licht ihres

private-eye-reports gerückt, etwas Spionagehaftes, Unwirkliches,

im Grunde aber lief es auf dasselbe hinaus, was

die Federal Trade Commission in einer Antitrust-Studie

später festhielt.

      Damals, im Januar 1919, hatte Adolph Zukor tatsächlich

nichts anderes im Sinn als eine Fusion mit der First National,

die nicht mehr von Unabhängigen Filme für sich produzieren

lassen sollte. Stattdessen hätte sie fortan ausschliesslich

Filme verliehen, die von der Famous Players-Lasky Corporation produziert worden wären.


Widerstand

Es war, nicht nur Chaplin ahnte es, eine alarmierende

Entdeckung. D. W. Griffith und William S. Hart wurden eingeweiht,

sie reagierten auf dieselbe Weise. Die Stars schienen

entschlossen, wenn nicht den Aufstand zu proklamieren, so

mindestens ihren Widerstand unter Beweis zu stellen.

      Sydney Chaplin, der die Sache in die Hand genommen

hatte, berief ein Treffen ein, bei dem es das Vorgehen

zu besprechen galt. Das geschah am 14. Januar, einem Dienstag,

bei Sydney zuhause: natürlich war Chaplin da, auch

Douglas Fairbanks war da, die an Grippe erkrankte Mary

Pickford hatte als bewährte Interessenvertreterin

Charlotte Pickford, ihre Mutter, geschickt, William S. Hart

war da, D. W. Griffith. 

      Unter den Versammelten kam eine enthusiastische Stimmung

auf, bis spät in die Nacht hinein muss das Treffen gedauert

haben. Eine eigene Gesellschaft zu gründen, das sollte die Antwort sein: so mindestens reportierte es A. H. Giebler von der

Moving Picture World, der anderntags Douglas Fairbanks in dessen Studio antraf, aufgeräumter denn je.


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www.fritzhirzel.com


Chaplins Schatten

Bericht einer Spurensicherung









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