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The Great Dictator Clippings 365/369
Niels Kadritzke, Le Monde diplomatique, Paris, France, Sept. 10, 1999.
Wo sind die grossen Schuhe? Der kleine Mann
lächelt: Chaplin (siehe „Film“)
(...) Charles Chaplin Cover, Spiegel, Hamburg, Oct. 8, 1952
& Kronen, exterior by day, marquee „Bei dir war es immer
so schön“, Berlin-Friedenau, 1954, Kinowiki
& In den Kronen-Lichtspielen, Berlin-Fiedenau, tragen
die Platzfräulein zu ihrem schmucken roten Dress goldene Miniaturkronen in ihrem Haar. Auch sonst ist es ein
nettes Theater. Man kann sich behaglich in weiche Sessel
schmiegen, wenn auf der amerikanischen
Leinwand kaltblütig gekillt wird. Das „Theater der interessanten Uraufführungen“ präsentiert oft strapaziöse Kriminalfilme.
(...) Spiegel, Hamburg, May 8, 1948
„Es war alles zu nahe der eigenen Hornhaut“
Editorial content. „CHAPLIN, HITLER
UND DIE NACHKRIEGSDEUTSCHEN“ (...)
„Von NIELS KADRITZKE“
Kronen Lichtspiele, Rheinstrasse 65, Berlin-Friedenau.
Redaktioneller Inhalt. „CHAPLIN, HITLER
UND DIE NACHKRIEGSDEUTSCHEN (...)
Ein Buch beschäftigt derzeit die deutschen Gemüter.
Es ist der jetzt erst publizierte Bericht
Lügendetektor, den der Politikwissenschaftler
Saul K. Padover 1946 über Deutschland
verfasst hat. Der Emigrant Padover war mit den ersten
US-Streitkräften nach Deutschland gekommen,
um die Stimmung der Bevölkerung zu erkunden. Ob sie
sich nach der bedingungslosen Kapitulation besiegt
oder befreit, ob sie sich für ihre Führer verantwortlich oder
von ihnen betrogen fühlten. Der Befund beeinflusste
auch die Antwort auf die Frage, wie man die
Deutschen nach Hitler zu Demokraten erziehen sollte.
Eine wichtige Rolle hatten die US-Behörden
dem Medium zugedacht, das die Nazis so virtuos
eingesetzt hatten – dem Kinofilm. Dabei
wollten die Re-education-Offiziere auch testen, ob die
Begeisterung, die das Berliner Publikum vor
1933 für Charlie Chaplin gezeigt hatte, sich auf den
1940 entstandenen Film Der große Diktator
übertragen ließe. Wie reagierte das Publikum auf einen
Film, der den Führer, dem sie gefolgt
waren, durch Lächerlichkeit entlarven wollte.
Von NIELS KADRITZKE
ANGEKÜNDIGT war der Film Kitty Foyle, der in Berlin
als Fräulein Kitty läuft. Die Menschen, die zu den
Kronen-Lichtspielen schlenderten, wollten ein wenig lachen,
auch ein paar Tränen verdrücken, aber in erster Linie
wollten sie Deutschland vergessen. Doch daraus wurde nichts,
denn man hatte kurzfristig das Programm geändert.
Statt Kitty Foyle gab es Charlie Chaplins The Great Dictator.
Diese Nachricht stand am 19. August 1946 im
Magazin Time. Dass den Kinogängern im westlichen Stadtteil
Steglitz der falsche Film vorgeführt wurde, hatte die
Information Control Section (ICS) eingefädelt. Als Organ der
US-Besatzungsbehörde war die ICS neben der
Kontrolle der Medien dafür zuständig, die Stimmung im Lande
zu erkunden. In dem Steglitzer Kino machte
sie ahnungslose, unterhaltungsbegierige Berliner
zu Versuchskaninchen.“ (...)
„Aber was wissen wir wirklich über die Gefühle der
,kleinen Kinogänger‘? Nur in der zweiten Berliner
Vorstellung vom 9. August 1946 konnten die amerikanischen
Kulturpolitiker die Frage testen, die sie interessierte,
seitdem sie an der Wirksamkeit der atrocity films zweifeln mussten.
Diese Frage lautete: Könnte der Chaplin-Film von 1940
womöglich eine Art Katharsis bewirken? Eine innere Befreiung
bei Menschen in Gang setzen, die den Sieg
der Alliierten nicht als befreiend empfunden hatten?
Über die Eindrücke und Gefühle des Testpubikums
gibt es sporadische Hinweise in der New York
Times vom 10. August 1946. Der Bericht beruft sich auch auf
,amerikanische Beobachter‘, die als Lauscher im
Publikum saßen. Er vermerkt zwar hin und wieder ,brüllendes
Gelächter und sogar Applaus‘. Aber der Haupteindruck
ist, dass die Leute ihre Emotionen kontrollierten. ,Spontanes
Gelächter des ganzen Hauses‘ gab es nur über die
Hermann-Göring-Parodie mit Doppelkinn und Ordensbrust.
,Irritiert und verletzt‘ reagierten sie dagegen, als
Chaplin als Diktator Hynkel in einer Sprache losrattert, die mit
ihren Urlauten und Wortfetzen das Panzerkettenstakkato
einer Hitlerschen Drohrede imitiert. Man könnte diese Reaktionen
auch so interpretieren: Schadenfreude für den eitelsten
ihrer ehemaligen Führer – aber Betroffenheit ob der Beleidigung
ihrer Sprache, deren Erniedrigung durch die Nazis
sie zwölf Jahre lang anstandslos hingenommen hatten.
Mehr als plausible Spekulationen darüber, was
in dem verstörten Publikum vorgegangen sein mag, könnten
uns nur direkte Zeugen geben, die nach so langer
Zeit freilich nur mit Glück zu finden sind. Unser Glücksfall
trägt heute den englischen Namen George Clare,
wurde aber als Georg Klaar in Wien geboren. Seine jüdische
Familie musste 1938 emigrieren. Heute lebt der
ehemalige Publizist bei Cambridge im aktiven Ruhestand.
An die Nachkriegszeit in Berlin kann sich Clare noch
lebhaft erinnern. 1946 war er Kontrolloffizier bei der britischen
Militärverwaltung. Und natürlich hatten ihn seine
amerikanischen Kollegen zum Testlauf des Chaplin-Films
eingeladen.
George Clare interpretiert die ICS-Umfrage sehr
zurückhaltend: „Fragebogen waren damals
nicht populär, jeder musste ständig Fragebogen ausfüllen.
Die Deutschen hatten Angst: Was machen die
da draus, was passert damit?‘
Er selbst glaubt rückblickend, dass es im Berliner
Publikum von 1946 zwei sehr unterschiedliche
Bedenken gab, die gegen The Great Dictator vorgebracht
wurden: Einer Minderheit war der Film zu weit weg
von der erlittenen Realität, der großen Mehrheit trat er zu nahe.
Wer das Dritte Reich als Furcht und Elend erlebt hatte,
musste denken: ,Nein, der Film wird dem Ernst nicht gerecht.‘
Die anderen zeigten mit ihrer Reaktion, dass sie erst
gar nicht erinnert werden wollten. Und dann unterläuft Clare
eine wunderbare Formulierung: ,Es war alles zu nahe
der eigenen Hornhaut.‘“ (...)
Le Monde diplomatique: Nur in der deutschen Ausgabe..
Die Information Control Section ICS, ein Organ der
US-Besatzungsbehörde, wollte die Stimmung im Lande
erkunden. Sie hatte die Programmänderung in den
Kronen-Lichtspielen eingefädelt. Das Kino mit 496 Plätzen,
Inhaber Dr. R. F. Goldschmidt, gehörte zum
amerikanischen Sektor.
Nach der Vorstellung liess ICS Fragebogen verteilen.
Von 500 verteilten Fragebogen wurden 232 abgegeben. Zur
Frage Wie hat Ihnen der Film gefallen? ergab sich eine
hohe Zustimmungsquote. 84 Prozent bewerteten The Great
Dictator als „hervorragend" oder „gut“.
Mit der Zusatzfrage Soll der Film dem breiten Publikum
zugänglich gemacht werden? erhoffte sich ICS
Hinweise bei der Entscheidung, ob sie The Great Dictator
in die deutschen Kinos bringen sollte. 62 Prozent
bejahten die Frage.
Nur: Was dachten die Zuschauer, die den Fragebogen
nicht ausgefüllt hatten? Falls ICS ihre Abstinenz als Ablehnung
interpretierte, hätte sich eine klare Mehrheit
dagegen ausgesprochen The Great Dictator in die
deutschen Kinos zu bringen.
Das Kino an der Rheinstrasse 65 überlebte bis in die
1960er. Das Gebäude, Gründerzeitarchitektur, ist erhalten.
In der Lokalität befindet sich in den 2010erjahren
die Trattoria dell arte. Hausgemachte Pasta. Steinofen-Pizza.
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