Unknown Cinema, Moving Picture World, May 3, 1913
ACHTUNG! AUFNAHME! 12/14
Caught in the Rain – Insgesamt unterschieden
sich, das wurde sehr bald deutlich, vorerst auch die
Filme des zum Regisseur avancierten Chaplin
nicht sonderlich von dem, was sonst bei Keystone
als üblich galt. Clippings
Fritz Hirzel, Chaplins Schatten.
Bericht einer Spurensicherung. Zürich 1982
Der nächste Film, Caught in the Rain, in der Woche darauf
entstanden, war Chaplins Regiedebüt, die erste Gelegenheit, bei
welcher er alle Möglichkeiten des Films in seiner eigenen
Person vereinigte, als Darsteller, Gagman, Writer und Regisseur.
Die Komödie begann wie andere auch. Auf einer
Parkbank sitzen, ein rüstiges Paar, Mack Swain und Alice
Davenport, zwei Eheleute. Der Gemahl geht etwas holen, derweilen
kommt Charlie anspaziert.
Einen gewöhnlichen Herrenhut trägt er, nicht die klassische
Melone. Krawatte, Kragen eingeknöpft, Hemdenbrust. Viel
zu weite Hose, gespenstisch weit, das könnte tatsächlich die von
Fatty Arbuckle gewesen sein.
Er setzt sich zur Frau hin auf die Bank und fängt zu
schäkern an. Unbekümmert, die Beine legt er ihr gleich auf den
Schoss. Als sie ihn mit der Hand abwehrt, hält er die Hand
fest und küsst sie.
Empört kommt der Gatte zurück, schupft Chaplin rückwärts
über die Bank. Die zwei ziehen von dannen, zurück zum
Hotel, in dem sie abgestiegen sind. Charlie, ziemlich betrunken,
kommt ebenfalls im Hotel an.
Verwirrung, Durcheinander in der Hotelhalle. Vor allem
schafft Charlie es nicht, die Treppe hinaufzukommen.
Immer, auch später, in Limelight noch, diese Treppen, wenn
er betrunken ist!
Immer wieder kommt er rückwärts heruntergefallen,
eine Serie von Stürzen lang, diese ganze Treppenszenenfolge des Betrunkenen. Er schlägt den Portier ins Gesicht, verwickelt
sich mit anderen Hotelgästen, setzt über einen Polstersessel, der natürlich umkippt, und schafft es endlich doch.
Einer mit einem eingegipsten Bein ist auch noch da,
wird wacker malträtiert. Oben findet Charlie dann aber sein Zimmer
nicht. Verirrt sich und tritt in ein anderes Hotelzimmer,
in jenes ausgerechnet, in welchem das Paar aus dem Park sitzt,
das sich eben noch heftig gestritten hat.
Charlie wirft allerhand herum, trinkt aus einer Flasche,
die er zuvor als Parfüm benutzt hat, schmeisst Damenunterwäsche
gegen die beiden, die sprachlos auf dem Bettrand sitzen.
Endlich verlässt er ihr Zimmer, findet gar sein eigenes, obwohl
er vorher nicht einmal das Schlüsselloch gefunden hatte,
und legt sich dort ins Bett.
Schön die Entkleidungsszene, starr aus einem Winkel
der Kamera aufgenommen, während Charlie halbe Purzelbäume
schlägt. Viel zu weite Hose, Hemdenbrust, Kragen!
Die Schuhe, die nimmt er vorsichtshalber unter das
Kopfkissen, als ob er sich demnächst zu wehren hätte. Im Zimmer
nebenan beschliesst der Mann noch einmal auszugehen.
Doch, da es regnet, muss er noch einmal zurück auf das Zimmer.
Da aber ist das Bett schon leer, seine Frau, die
Schlafwandlerin, ist nicht mehr da. Sie hat sich im Zimmer
gegenüber eingefunden, just sich zu Charlie aufs Bett
gesetzt. Sucht herum in dessen Hose.
Charlie, aufgewacht, seltsam berührt und nicht ganz unerfreut,
nimmt ihr die Hose weg. Offenbar ist da noch ein Nickel drin.
Will Gentleman sein, die Dame zurück auf ihr Zimmer bringen. Geht hinaus auf den Gang, da steht schon der Gemahl und zetert.
Zurück in seinem Zimmer findet Charlie die Gemahlin,
die fremde, in seinem Bett liegend wieder, schlafend. Er schafft
sie hinüber ins Zimmer des Ehepaars, doch kann er mit
einem Mal nicht mehr zurück, weil an der Tür der Gatte poltert.
Flieht durch das Fenster, wird ganz nass in seiner
Unterwäsche, fällt überdies, sich an der Fassade haltend, einem
Polizisten auf der Strasse auf. Das Ende ist Tumult.
Charlie stürzt, als der Cop die Pistole zieht, sich zurück ins
eheliche Hotelzimmer. Die Treppe herauf kommen die
Keystone Cops gelaufen, eine wilde Prügelei hebt an, jeder haut
ein bisschen jeden.
Bedeutsamer vielleicht als die Frage, ob dieses Debüt,
dieser erste Versuch nun mehr oder weniger misslungen sei,
mochten ein paar Kleinigkeiten sein, Kleinigkeiten an
Kostüm und Habitus.
Insgesamt unterschieden sich, das wurde sehr bald deutlich,
vorerst auch die Filme des zum Regisseur avancierten
Chaplin nicht sonderlich von dem, was sonst bei Keystone
als üblich galt. Aufschlussreicher war ein Detail wie der
Herrenhut, der plötzlich die Melone ersetzte.
Am Kostüm, dem imgrunde längst gefundenen, am Bild
des kleinen, heruntergekommenen Mannes wurde noch
immer dies und jenes vertauscht, gewechselt und neu probiert, als wollte Chaplin es unbedingt verbessern, als hätte er sie, diese
einmalige Figur, zwar wahrgenommen, sei aber noch im Zweifel,
als hätte er ihre Bedeutung erkannt, aber nicht den Punkt
ihrer Vollendung, die bestmögliche Form.
Caught in the Rain Clippings
Chaplin At Keystone Chaplins Schatten weiter zurück