Keystone Comedies, Moving Picture World, Feb. 7, 1914

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ACHTUNG! AUFNAHME! 1/14


Making a Living – Der erste Film, den Chaplin

dreht, als er 1914 seinen Vertrag bei Mack

Sennett in der Keystone Company antritt, ist Making

a Living. Und die Figur des Tramps

ist da noch nirgendwo zu sehen. Clippings



               Fritz Hirzel, Chaplins Schatten.

               Bericht einer Spurensicherung. Zürich 1982


Aber in den nächsten zwei Filmen war sie plötzlich da. Mabel‘s

Strange Predicament und Kid Auto Races at Venice

zeigten Chaplin in der Figur des Tramps. Was war geschehen?

      Chaplin, der Starkomiker der Music Hall, musste

in kürzester Zeit umdenken. Er hatte Troubles vor der Kamera

zu Beginn. Action, Action, Action. Darauf gründete

die Wertordnung in der Slapstick Factory. Aber das war

nun wirklich nicht sein Ding.

      So konnte es nicht verwundern, wenn er mit

Henry Lehrman, dem Regisseur von Making a Living, seinem

ersten Film, gleich hintereinander geriet.

      Hinzu kam nun allerdings, dass er Lehrman, der ihn nicht

einfach aus Neid zur Schnecke machen konnte,

zu wenig entgegenzusetzen hatte, vor allem nicht, was das

wichtigste gewesen wäre, eine Figur, die auf Anhieb

überzeugt hätte.

      Chaplin erschien als aufgeblasener Geck in hellem

Gehrock, mit Zylinderhut, Monokel und langem,

nach unten gezwirbeltem Schnauz – eine fremde Gestalt,

die sich in Making a Living abzappelt als Hochstapler,

der Bilder und Notizen klaut, die ein Reporter beim Verkehrsunfall

mit einem Sterbenden gemacht hat.

      Dies alles, wohlverstanden, nachdem dieser Halunke

sich erst Geld beim Biest von Reporter ausgeborgt und ihn

hernach die Verlobte ausgespannt hatte.



               Fritz Hirzel, Randnotiz ! (2011)


Von Mack Sennett gibt es erhellende Sätze,

die er Chaplin nachruft, als dieser Keystone verlassen hat.

      „Ein Mann“, sagt Sennett in Photoplay Mai 1915,

„sitzt in einer Hotellobby. Am Ende des Raumes sitzt seine

Angebetete mit ihrem Begleiter, auf seiner Seite sitzt

seine Frau. Er versucht seiner Frau gegenüber Anteilnahme

zu zeigen, ohne die Angebetete wissen zu lassen,

dass er verheiratet ist, und die Angebetete anzustrahlen, ohne

dass seine Frau Verdacht schöpft. Er sitzt einfach da.

Die Komödie besteht aus den Veränderungen seines Gesichts.

Dazu braucht es wirkliche Kunst, dazu braucht es

wirkliche Scenarios, dazu braucht es wirkliche Regie. Das war

der Stoff, in dem Chaplin geglänzt hat.“

      Das ist genau die Art von Einsicht, die Sennett abgegangen

zu sein scheint, als Chaplin Anfang Dezember 1913

bei Keystone anfängt. Vier Produktionsgruppen soll es in der

Factory gegeben haben. Was macht Sennett? Lässt

er Chaplin Raum für Kunst? Hat er ein Scenario? Wer führt

Regie? Henry Lehrman. Der tritt zugleich in der Rolle

von Chaplins Widersacher auf. 

      Das ist die Versuchsanordnung. Lehrman. Chaplin.

Sennett lässt machen. Er lässt Slapstick Comedy machen.

Er weiss, Lehrman verlässt Keystone Februar 1914

mit Ford Sterling. Fast sieht es so aus, als wolle Sennett

von ihm noch profitieren.

      Der Film heisst Making a Living, und Lehrman und

Chaplin verkrachen sich, was nicht anders zu erwarten gewesen

ist, vor und hinter der Kamera.



               Fritz Hirzel, Randnotiz II (2011)


In My Autobiography schreibt Chaplin, Sennett hätte ihn

beiseite genommen und ihre Arbeitsmethode erklärt. „Wir haben

kein Scenario – wir haben eine Idee und folgen dann der natürlichen

Folge der Ereignisse, bis es in die Verfolgungsjagd mündet,

welche die Essenz unserer Komödie ist.“ Das genaue Gegenteil

von dem, was Sennett in Photoplay sagt.

      Chaplin ist im Great Northern Hotel abgestiegen,

einem kleinen Haus. Später bringt Sennett ihn im Los Angeles

Athletic Club unter, wo er selber Mitglied ist, was ihn

berechtigt einem Freund eine temporary membership card

zu geben. Sie leben drauf beide dort.



               Fritz Hirzel, Randnotiz III, 2011


Chaplin widerspricht Sennett sofort. Er hat die Keystone

verlassen. Er ist mit der Filmarbeit für Essanay

in Los Angeles zurück – nach Abstechern nach Chicago und

San Francisco. Da veröffentlicht Photoplay August

1915 Chaplins Blick auf seinen Beginn bei Keystone, die

Tagespresse zitiert, The Washington Times am 5. August 1915.

      Chaplin hätte Troubles gehabt die Regisseure von

seiner Aufmachung zu überzeugen, ist die Meldung aufgemacht,

das Original formuliert eher noch schärfer: „Chaplin Had

Trouble Making Directors Accept His Make-Up“.

      Er sei mit seinem Kostüm, speziell den Schuhen

und der Hose, auf Unverständnis gestossen. Sennett hätte das

nicht geschnallt. „He could not grasp it“. Er hätte die grösste

Mühe gehabt und Chaplin überzeugen wollen, die Dinge auf seine

– Sennetts – Art zu machen.

      Die Rede ist von Kämpfen mit Sennett und den anderen

Regisseuren bei Keystone, als er zuerst begonnen hätte mit seiner

Filmarbeit. Um die Wahrheit zu sagen, wird Photoplay

zitiert, er war zuerst totunglücklich. „To tell the truth, he was

miserably unhappy at first.“

      Als die Ergebnisse der Kinovorführungen mit Filmen,

in denen er gespielt hatte, vorlagen, hätten die Regisseure sich

Kommentaren enthalten. Ford Sterling hatte die Company

soeben verlassen, und die Erwartung an Chaplin sei gewesen,

dass er seinen Platz einnehme.

      Chaplin arbeitete allerdings nach komplett anderen

Methoden. Sterling arbeitete sehr rasch, stürmte hierher und

dorthin in Höchstgeschwindigkeit. Chaplins Komik sei

langsam und bedächtig und mache ein grosses Ding aus kleinen

Dingen – kleinen Feinheiten.

      Sie hätten ihn zwingen wollen, den Stil von Ford Sterling

zu übernehmen, und Chaplin hätte sich geweigert. Das

Nettoergebnis sei eine äusserst gereizte Zeit gewesen. Chaplins

erster Regisseur war Henry Lehrman. Sie hätten bei

Chaplins erster Arbeit die ganze Zeit gestritten.

      Mabel Normand und Chaplin hätten gefightet wie ein

schwarzer Hund und ein Affe. Lehrman hätte zuletzt an Sennett

appelliert. Er hätte gesagt, er könne mit Chaplin nichts

anfangen. „He said, he couldn´t do anything with Chaplin.“

      Sennett wies Chaplin zurecht. Die Leute bei Keystone

sagten, die härteste Zurechtweisung, die jemals bei Keystone

jemandem zuteil geworden sei, sei von Sennett an Chaplin

ergangen, weil er sich weigerte dem Regisseur zu gehorchen. „Because he refused to obey the director.“

      Chaplin hätte sie im Stehen und schweigend

entgegengenommen – und als Darsteller unverändert auf seine

Art weitergemacht. Schliesslich hätte Lehrman ihn an

einen anderen Regisseur weitergereicht, der eine genauso

schlechte Zeit mit Chaplin verbrachte.

      Die Leute bei Keystone kamen zum Schluss, mit

Chaplin eine saure Zitrone gezogen zu haben. Persönlich war

er sehr populär, aber man stimmte allgemein darin

überein, dass er es als Filmschauspieler nie schaffen würde.



               Fritz Hirzel, Randnotiz IV (2013)


Der Arbeitstitel für Making a Living hat The Reporters

geheissen. Aber Reed Heustis, der bei Making a Living, bei

Mabel‘s Strange Predicament  und bei Kid Auto

Races in Venice, Cal. als Scenario-Writer tätig gewesen

ist, wechselt nach seiner die Presse sarkastisch

karikierenden Farce Comedy Making a Living ausgerechnet

wieder in den Journalismus.

      „Reed Heustis “, meldet Variety am 21. August 1914,

„is now assistant editor of ,Rialtografs,‘ a western sport paper.“

      Das bei The Austin Pub. Co., 649 S. Flower Street,

Los Angeles, jeweils samstags herausgebrachte Blatt widmet

sich Amusements and Sports.



               Fritz Hirzel, Randnotiz V (2017)


Offenbar sind durch Keystone Testaufnahmen mit Chaplin

gemacht worden, bevor er Ende 1913 in Los Angeles

die Filmarbeit aufgenommen hat – Testaufnahmen, in denen

er das Kostüm des Tramps getragen und aus seinen

Bühnenjahren bei der Fred Karno Company mitgebracht

zu haben scheint.

      „A test shot taken fourteen years ago at the old Keystone

studios shows the comedian who was afterwards

to become world famous, Charles Chaplin, coming down

a railroad track toward the camera with the walk

that is now known all over the world, with the same type

of shoes, moustache, derby, etc.“

      „Eine vor vierzehn Jahren im alten Keystone Studio

entstandene Testaufnahme zeigt den später

weltberühmt gewordenen Comedian, Charles Chaplin,

wie er einem Bahngeleise entlang Richtung

Kamera herunterkommt mit dem Gang, der inzwischen

weltbekannt ist, mit derselben Art Schuhe,

Schnurrbart, Hut usw.“ 

      Motion Picture News, 28. Januar, 1927.

      Der Filmkritiker Paul Thompson beschreibt einen

Kompilationsfilm, der gerade im Hippodrome,

New York und in B. F. Keith‘s Orpheum, Brooklyn gezeigt

wird – Ye Movies in Ye Olden Days, realisiert

von J. A. LeRoy.


     Making a Living Clippings


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Making a Living Scene, NFA

– Making a Living Clippings

www.fritzhirzel.com


Chaplins Schatten

Bericht einer Spurensicherung